Wanderfahrt auf der Unstrut

Für den Ruderverein Cassel 2010 eine Wanderfahrt zu planen
ist manchmal gar nicht so einfach. Da wir bislang nur Tages- oder
Wochenendfahrten durchführen, scheiden weit entfernte Ziele aus. Schließlich
wollen wir nicht nur im Auto sitzen. Darüber hinaus war in den lezten Jahren festzustellen,
dass bei den Wasserwanderfreunden schmale Flüsse, die durch die Landschaft
mäandern, mehr Zuspruch bekamen als große, breite Bundeswasserstraßen, auf
denen man gemütlich dahintreiben kann. Die Unstrut, die der Verein zuletzt
2017, befahren hat, war den Teilehmerinnen und Teilnehmern, die sich im
November zu einer Planungssitzung trafen, noch gut in Erinnerung. Also
entschied ich mich, diesen Fluss in diesem Jahr wieder zu befahren. In diesem
Jahr starteten wir bereits in Artern. Hier ist der Fluss noch schmal. Im Vierer
könnte man hier nicht wenden. Wir hatten mit der Holtemeny und der neuen Eder
nur Zweier dabei. Sehr beruhigend war für mich als Wanderruderwart bei der
Planung, dass die alte Brücke in Memleben abgerissen ist. Hier gab es eine
Engstelle und eine gefährliche Strömung.

Am Freitag, den 13.05. trafen wir uns nachmittags am
Bootshaus., um gemeinsam nach Thüringen und Sachsen-Anhalt zu fahren. Wir
freuten uns, dass auch Kirsten Lindner, dies es beruflich nach Frankfurt
verschlagen hat, wieder mit von der Partie war. Am Samtag wollten wir zeitig
starten, daher war eine Vorübernachtung notwendig. Dass man auf einer
Wanderfahrt immer wieder spontan seine Pläne ändern muss ist eine
Binsenweisheit, die sich auch auf dieser Fahrt bewahrheitete. An der Schleuse
Artern konnten wir nicht einsetzen, hier sollten an diesem Wochenende
Bauarbeiten durchgeführt werden. Außerdem war das Schleusengelände abgesperrt,
die Einsatzstelle im Unterwasser der Schleuse war daher nicht erreichbar. Freundliche
Einwohner in Artern wiesen uns auf die befestigte Treppe am Solepark hin. Hier
luden wir die Boote ab, riggerten sie auf und fuhren dann weiter zum
Schlosshotel nach Nebra, unserem Standquartier. Tanja Kurzenknabe, die sich
später zur Fahrt angemeldet hatte, bekam ein Zimmer im Schloss. Dies brachte
ihr den Titel „Ihre Lieblichkeit“ ein. Die anderen hatten ihre Zimmer im
Nachbarhaus, einem ehemaligen Plattenbau, der zwischenzeitlich modernisiert
wurde.

Als wir am Samstag die beiden Boote in Artern zu Wasser
ließen, begrüßte uns eine Nutria-Familie. „Natur pur!“; war mein erster
Gedanke. Tatsächlich hatten wir auf dieser Fahrt, die uns bis nach
Naumburg/Saale führte, weitere Begegnungen mit eher seltenen Tieren. Wir sahen
zwei Fasane, Rotmilane oder Eisvögel. Die Unstrut hat so einige Besonderheiten.
Wie in vielen Regionen in Deutschland verlor die Bedeutung der Flussschifffahrt
auf der Unstrut mit dem Ausbau des Eisenbahnverkehrs an Bedeutung. Früher
wurden auf dem Fluss vor allem Nebraer Sandstein, Freyburger Kalkstein, Salz
von Artern, Braunkohle von Ederleben sowie Getreide, Rüben, Heu, Stroh und Holz
befördert. Im 20. Jahrhundert wurde der Frachtschiffverkehr eingestellt. Viele
Schleuse blieben dennoch erhalten. Sie wurden nach der Wiedervereinigung
renoviert und sind nun wichtig, um auf der Unstrut einen „sanften“ Tourismus zu
etablieren. Tatsächlich konnten wir uns davon überzeugen, dass insbesondere für
Kanufahrten auf der Unstrut eine gute Infrastruktur besteht und im Internet
eine vielzahl von Flussbeschreibungen veröffentlicht sind.

Nach knapp vier Kilometern erreichten wir die Schleuse
Ritterburg, eine Bedarfsschleuse. Da das Schleusenhaus bewohnt ist, konnten wir
hier jemanden finden, der uns die Tore öffnete und die Talfahrt ermöglichte. An
dieser Schleuse mussten die Tore noch mit Muskeltraft bedient werden. Dies war
gar nicht so einfach. In diesem Bereich der Unstrut gibt keine Kilometersteine,
für die beiden Mannschaften war es gar nicht so einfach festzustellen, wieviel
Strecke man genau zurückgelegt hat. Irgendwann sahen wir einen Bootsanleger.
Das dort angebrachte Schild war vom Wasser aus nicht zu lesen. Sollte dies der
Steg des Ruderclubs Roßleben gewesen sein? Ihre Lieblichkeit Tanja, die die
Holtesmeny, das führende Boot, steuerte, nahm die Flussbeschreibung zur Hilfe.
„Dahinten ist eine Autobrücke, dann muss dies hier der Ruderverein sein!“,
stellte sie fest. Wir wendeten und fuhren die kurze Strecke, die uns die
Strömung mitgenommen hatte zurück. Tatsächlich, das Vereinshaus lag hinter
einem Deich und war vom Wasser aus nicht zu sehen. Der RC Roßleben liegt
außerhalb des knapp 5.000 Seelen-Dorfes. Der Landdienst begrüßte die Truppe.
Wie so oft, war rasch der Picknicktisch gedeckt. Es gab wieder viele Leckereien:
Käsebrötchen, Kuchen, einem Dipp, Ahle Wurscht, Käse, Frikadellen und vieles
mehr.

Kurz nach Roßleben beginnt Sachsen-Anhalt. Ab hier gibt es
noch hauptamtliches Schleusenpersonal, was uns feundlich empfing. Für die
Schleusung mußten 5,00 € pro Tag und Boot entrichtet werden. Die Schleuse
Wendelstein hat schräge Wände. Dies bedeutet, dass wir uns nirgends festhalten
konnten. Beim Ablassen des Wassers kommen rechts und links Absätze zum
Vorschein, daher ist es wichtig, mit dem Boot in der Mitte der Anlage zu
liegen. Da an diesem Wochenende wenig Kanuten unterwegs waren, war das
passieren der Schleusen einfach, bei viel Gedränge ist es schon schwerer, sein
Boot korrekt aus Position zu halten. Spätestens in Memleben oder in Nebra
erlebten wir hautnah wieviel Geschichte in dieser Region anzutreffen ist. Hier
wurde 1999 die berühmte Himmelsscheine gefunden. Memleben war bereits im 10.
Jahrhunder eine bedeutende Kaiserpfalz (König Heinrich I und dessen Sohn Otto
I). Heute präsentieren sich die Orte hier ruhig, vielleicht ein wenig
verschlafen.

Mit guter Kondition und unterstützt durch die Strömung
kamen wir schnell vorwärts. Daher entschieden wir uns, die Tagesetappe bis zum
Kanurastplatz in Karsdorf zu verlängern. Hier begann die Fahrt 2017. Der tolle
Tag auf dem Wasser klang mit einem Glas Wein auf der Terasse des Schlosshotels
aus.

Gut gestärkt durch das Frühstücksbuffett starteten wir in den
zweiten Rudertag (Sonntag, 15.05.2022). Auch heute lachte die Sonne. Es sollte
warm werden. Dass wir trotzdem Schatten hatten, verdankten wir Uferbäumen. Wir
ruderten phasenweise wie auf einer Allee. Die Landschaft änderte sich an diesem
Tag. Sandsteinfelsen tauchten am Ufer auf; wir erreichten das Weinanbaugebiet
Unstrut-Saale, eine landschaftlich besonders attraktive Gegend. Immer wieder
sahen wir Burgen auf den Anhöhen. Besondere Abenteuer hatte Jens Lattmann zu
bestehen. Er hatte sich bereit erklärt den Bootsanhänger zum Ziel zu fahren.
Allerdings dies es garnicht so einfach, wenn die Adresse, die man ins Navi
eingeben muss, unbekannt ist. Anstatt zum Kanuverein zu fahren, fand Jens den dortigen
Ruderverein. So verängerte sich die Tour um weitere 4 km. Am frühen Nachmittag
erreichten wir nach 60 km die Saale. Am Ruderverein wurden wir bereits
erwartet. Ein Ruderkamerad hatte sich bereit erklärt, für uns nochmals zum
Verein zu kommen. So konnten wir dort die sanitären Anlagen nutzen. Er erkärte
uns auch, dass der RV Rot-Weiss Naumburg bald ein neues Vereinsheim erhält, da
am alten Standort eine Stützmauer seit dem letzten Hochwasser einsturzgefährdet
ist. Das Vereinsheim lag auf einer Anhöhe. Der Fluss floss deutlich tiefer.
Nichts deutete darauf hin, dass der Pegel hier in Ausnahmesituationen so stark
ansteigt. Nachdem die Boote gereinigt und verladen waren, ging es zurück nach
Kassel.

Mit etwas Wehmut verschloss ich am frühen Abend die Hallen
am Bootshaus in Kassel. Es hieß Abschied nehmen von meinem tollen Wochenende
und von einem Teamerlebnis, dass viel Freude brachte. Danke an Jens, der den
Hänger gezogen hat und an alle, die dieses Wochenende zu einem besonderen
Erlebnis gemacht haben. Eines haben wir uns jetzt schon vorgenommen: die
Planungen für die nächsten Touren können beginnen. Auf dieser Fahrt legten wir
65 km zurück.

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